Sprache als Methode

In Limb’s Theorem (Uraufführung 1990 in Frankfurt) nutzt der Choreograf William Forsythe eine Zeichnung von Daniel Liebeskind, auf der sich abstrakte Linien, Kurven und angeschnittene geometrische Figuren explosionsartig über eine Fläche verteilen, um das Bühnenbild zu gestalten und die Bewegungen der Tänzerinnen und Tänzer zu orchestrieren und das Sehen der Zuschauenden zu lenken.  
Im ersten Teil des Stückes dominiert ein riesiges Segel die Bühne, das an einem Gelenk gedreht wird. Die Tanzenden reagieren auf das sich drehende Segel, dass den Zuschauenden teilweise den Blick auf sie versperrt, wie es ihnen selbst Bewegungsfolgen unterbricht. Die Lichtführung lässt Gruppen von Tanzenden im Dunkeln oder schneidet sie nur an. Im aufgesprengten Raum ist es den Zuschauenden verunmöglicht, das Geschehen gesamthaft zu verfolgen. Forsythes Inszenierungen sprechen immer all unserer Sinne an. Sie werden damit zu einer unmittelbaren körperlichen Erfahrung, die einen eigenen Wachzustand kreiert. Die Aufmerksamkeit der Beteiligten ist als Spannung im Raum spürbar. 

Auch Sprache ist für Forsythe ein Mittel, um diesen Zustand zu schaffen (u.a. ARTIFACT, Uraufführung 1994, Frankfurt). Indem Forsythe Sprache manipuliert, lässt er uns über sie nachdenken.  Der Beitrag hinterfragt Sprachgewohnheiten, den Gebrauch von formelhaftem Vokabular und Codierungen und stellt die Frage, was möglich wäre, wenn wir uns im Sinne eines forsytheschen Wachzustands ernsthaft mit Sprache als Instrument des Austauschs und der Vermittlung befassen im Bewusstsein, dass jeder Satz, jedes Wort wiederum eigene Bilder für jede und jeden erzeugen, wie es in Limb’s Theorem mit dem Spiel von Bühnenbild, Licht und Tanz geschieht. 

Beitrag in Lila Strauss No 9, Glitch

Fotos: ©Dominink Mentzos